Anmerkungen aus Verteidigersicht* zum FDLR-Verfahren vor dem Oberlandesgericht  Stuttgart, dem ersten deutschen VStGB-Verfahren

Jochen Thielmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Wuppertal

Der Autor war in diesem Verfahren vom März 2013 bis zum Ende des Prozesses im Oktober 2015 Pflichtverteidiger
des vormals 1. Vizepräsidenten der FDLR, Straton Musoni.

Wenn der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart Recht behält und sein Urteil vom 28. September 2015 nicht vom Bundesgerichtshof aufgehoben wird, dann waren Dr. Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni in den Jahren 2008 und 2009 Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

Es ist völlig unbestritten, dass sie in dieser Zeit Präsident bzw. 1. Vizepräsident der „Demokra-tischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR) gewesen sind. Ob sie also objektiv als „Rädelsführer“ einer Terrorvereinigung angesehen werden können, hängt zunächst davon ab, ob die FDLR als eine solche terroristische Vereinigung eingestuft werden kann oder nicht. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat dies getan, wie zuvor bereits das Oberlandesgericht Düsseldorf im Dezember 2014, als man über andere drei Mitglieder dieser Organisation zu Gericht saß.

Zum Zeitpunkt dieser Entscheidungen hatten auch die Vereinten Nationen die FDLR auf die Liste der terroristischen Organisationen genommen, allerdings erst am 31. Dezember 2012. Zum Zeitpunkt der Verhaftung von Murwanashyaka und Musoni, die beide seit den 80er Jahren in Deutschland lebten, im November 2009 sah das noch anders aus.

Trotz immer wiederkehrenden Beschuldigungen gegen die Vereinigung, in denen es gemeinhin um gewaltsame Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung, um Vergewaltigungen und den Einsatz von Kindersoldaten ging, hatte die UN bis dahin die FDLR und ihren militärischen Arm FOCA nicht als Terrororganisation gelistet, obwohl die Völkergemeinschaft unter dem Banner der „Friedensmission“ MONUC seit vielen Jahren in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) vor Ort war. Der deutsche Generalbundesanwalt hatte sogar ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. Murwanashyaka, in dem es auch um die Frage ging, ob er der Präsident einer terroristischen Vereinigung sei, noch im Jahr 2007 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Bei dieser Ausgangsposition sollte es keine Überraschung sein, dass die Verteidigung den Vorwürfen der Anklage einigen Widerstand entgegenzusetzen hatte.

1. Das Staatsschutzverfahren

a) Meine erste Erfahrung als Strafverteidiger in einem Terrorverfahren war ernüchternd. Ich habe im ersten deutschen Al-Qaida-Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf in den Jahren 2006/07 einen Mann verteidigt, der durch seinen Bruder und dessen Mitbewohner in einen Plan zu einem Versicherungsbetrug verwickelt wurde, dessen Beute dann angeblich der Al Qaida zugute kommen sollte.

Meine Erwartung vor diesem Verfahren war, dass ich es mit wasserdichten Ermittlungen des Generalbundesanwalts zu tun bekomme und mit einer Arbeit am – wie es der dortige Vorsitzende Richter ausdrückte – „juristischem Hochreck“. Die Realität sah jedoch anders aus: eine mehr als unsichere Beweislage in den entscheidenden Punkten, die nur mit einer konsequenten Beweiswürdigung zulasten der Angeklagten und einer Erweiterung der Strafbarkeit durch eine ausufernde Vorverlagerung zu dem offensichtlich gewünschten Ergebnis führte.

Dass dies keine paranoide Verteidigersicht ist, zeigt der Umstand, dass dies von der Justiz selbst später eingestanden wurde: das Urteil des OLG Düsseldorf wurde zunächst in Teilen vom Bundesgerichtshof aufgehoben (aus der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eines der Angeklagten wurde Unterstützung)* und das gesamte Urteil des BGH wurde sodann vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben, weil die Verurteilung wegen Betrugs nicht nur  rechts-, sondern gar verfassungswidrig war.**

* BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448.

** BVerfG NJW 2012, 907, vgl. auch Fischer, StGB § 263 Rnr. 176b f.

Meine damalige Vermutung war, dass Gerichte in Terrorverfahren im Besonderen dazu neigen, Staatsräson vor Rechtsstaatlichkeit zu setzen. Der einzelne Angeklagte und seine Schuld sind nicht das primäre Ziel, sondern es geht um mehr, um den Nachweis einer wehrhaften Demokratie. Ein Umdenken im Einzelfall kommt – wenn überhaupt – erst Jahre später, wenn die Beschuldigten bereits viele Jahre ihrer Haftstrafe abgesessen haben und sich die Öffentlichkeit nicht mehr für den Fall interessiert.

Dann kann man es sich sogar leisten, ein in die amtliche Sammlung aufgenommenes Urteil des Bundesgerichtshofs als in Teilen verfassungswidrig zu brandmarken, während derselben Rüge während laufender Hauptverhandlung (etwa als Angriff gegen eine Haftentscheidung) mit großer Wahrscheinlichkeit beim Bundesverfassungsgericht nicht erfolgreich gewesen wäre.

b) Jedes „Terrorverfahren“ ist für die Strafjustiz wegen des Aufwands und des Umfangs eine immense Belastung. Es wird in Deutschland kein kurzer Prozess mehr gemacht, sondern das genaue Gegenteil. Das Stuttgarter Verfahren war mit über vier Jahren das längste Verfahren in der Geschichte dieses Oberlandesgerichts. Es wurden Zeugen aus Afrika eingeflogen, es wurden Live-Schaltungen nach Afrika aufgebaut und genutzt. Es kann demzufolge nur gemutmaßt werden, dass dieses Verfahren auch das teuerste Verfahren in der Geschichte des OLG Stuttgart gewesen ist – wenn man den Bau von Stammheim für die RAF-Prozesse Mitte der 70er Jahren nicht mitzählt.

Angesichts dieses ungeheuren Aufwandes stellt sich schnell auf Seiten der Verteidigung das ungute Gefühl ein, dass ein Freispruch schon allein aus diesem Grund unmöglich zu erreichen ist. Man stelle sich einen Vorsitzenden Richter vor, der nach über vier Jahren Hauptverhandlung in der mündlichen Urteilsbegründung ausführt, dass zwar der Verdacht gegen die beiden Angeklagten nach wie vor bestehe, aber keine sicheren Beweise vorlägen und daher im Zweifel für die Angeklagten freizusprechen sei. So wenig ein solches Szenario vorstellbar erscheint, so klar kann man sich die Reaktion der Medien darauf ausmalen: Wie kann ein Gericht nach vier Jahren zu einem solchen Ergebnis kommen? Wissen die nicht, was sie tun? Hätten die nicht eher erkennen müssen, dass die Beweise nicht für einen Schuldausweis ausreichen? Warum wurde nicht längst die Notbremse gezogen? Gab es schon einmal eine größere Geldverschwendung? Und wie steht Deutschland nun im Ausland dar?

So schön also die Abkehr vom „kurzen Prozess“ inzwischen ist, so sehr besteht die Gefahr, dass die schiere Masse an Material den freien Blick auf die Tatsachen behindert. Und dass erwiesene oder nicht erwiesene Schuld der Angeklagten am Ende nicht die entscheidenden Kategorien für das Urteil sind, sondern persönliche Befindlichkeiten, mögliche politische Auswirkungen oder gar finanzielle Erwägungen. Es bedarf sehr viel Stärke der handelnden Personen, um sich dieser Gefahren bewusst zu werden und richtig zu handeln. Denn schließlich ist offensichtlich, dass jeder Jurist nach einer Hauptverhandlungsdauer von 320 Hauptverhandlungstagen genug Beweismaterial zur Verfügung hat, um das Urteil in die eine oder andere Richtung zu begründen.

c) Das vielleicht größte Problem im FDLR-Verfahren war, dass es sich um das erste Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch gehandelt hat. Völlig unabhängig vom Inhalt und der Begründetheit der Vorwürfe handelte es sich um einen „Meilenstein in der Strafrechtspflege der Bundesrepublik“ mit „historischer Bedeutung“*, das unter besonderer Beobachtung durch die  Rechtswissenschaft und die interessierte juristische Öffentlichkeit stand.

* So formulierte es der Vertreter des GBA in diesem Verfahren Ritscher in seinem Aufsatz in dem Buch „Völkerstrafrechtspolitik – Praxis des Völkerstrafrechts“ von Safferling/Kirsch (Hrsg.), 2014, S. 234. 

Dieses Gesetz gab es schließlich bereits zehn Jahre lang, ohne dass auch nur ein einziges Verfahren durchgeführt worden wäre. VStGB-Verfahren sind angesichts des extremen Auslandsbezugs offensichtlich schwierig und mühsam, aber sicher nicht unmöglich zu führen.

Und  hätten die Angeklagten Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni tatsächlich aus Deutschland Befehle gegeben, die in der DRC zu Kriegsverbrechen geführt hätten, dann wäre dies ein VStGB-Verfahren wie aus dem Lehrbuch gewesen. Dann wären tatsächlich die strafbaren Handlungen der beiden Angeklagten im Inland begangen worden und der Auslandsbezug wäre zwar wichtig, aber nicht entscheidend gewesen. Aber leider passte dieses FDLR-Verfahren nur auf den ersten Blick ins Schema des VStGB. Leider (?) hatten weder Dr. Murwanashyaka noch Straton Musoni von Deutschland aus einen Krieg im Kongo geleitet. Leider (?) hatten sie niemals Befehle erteilt, Straftaten gegenüber Zivilisten zu verüben. Leider (?) hatten sie nachweisbar sogar genau das Gegenteil getan, nämlich sich innerhalb der Vereinigung stets für ein gutes Miteinander mit der kongolesischen Zivilbevölkerung ausgesprochen, ohne dabei auf offensichtlich taube Ohren bei den sich vor Ort befindlichen Militärs zu stoßen.

Es ging somit im Stuttgarter Verfahren um Taten, die – wenn sie denn wirklich passiert sind – auch von den beiden Angeklagten offenkundig nicht gutgeheißen wurden.

Ein großes Problem für die Angeklagten und ihre Verteidigung war, dass sie zu der Frage, ob diese angeblichen Verbrechen im Kongo tatsächlich stattgefunden hatten, keine Angaben aus erster Hand machen konnten. Sie konnten dies unmöglich sicher wissen, denn sie waren zu dieser Zeit in Deutschland und nicht in den kongolesischen Orten Busurungi, Mianga, Manje, Kipopo oder Chiriba, wo es zu Kriegsverbrechen von Soldaten der FOCA gekommen sein soll.

Ebenso war kaum möglich, noch aktive FOCA-Soldaten als Entlastungszeugen nach Deutschland zu holen, weil diese fürchten mussten, hier als Mitglieder einer terroristischen  Vereinigung verhaftet zu werden.*

* Nur inzwischen nach Ruanda heimgekehrte Ex-FOCA-Mitgliedern wurden durch den GBA Immunität gewährt.

Die Verteidigung musste sich daher damit begnügen, die Glaubwürdigkeit der vom GBA genannten Zeugen und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen einer wesentlich kritischeren  Überprüfung zu unterziehen, als dies vom Senat und vom GBA getan wurde.*

* Es braucht nicht näher ausgeführt zu werden, dass auch diese Vorgehensweise vor allem vom GBA stark
kritisiert worden ist.

2. Die deutsche Öffentlichkeit

Die deutsche Öffentlichkeit hatte im Jahr 1994 für kurze Zeit nach Ruanda geschaut, als es dort innerhalb weniger Monate zu einem Gewaltausbruch kam, dem fast eine Millionen Menschen zum Opfer fielen. Nachdem sich die Lage dort – mehr oder weniger – wieder beruhigt hatte, interessierten sich nur wenige Journalisten für das kleine Land in Zentralafrika, das von der Größe her dem Bundesland Hessen gleicht.

Dass in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo (DRC, früher Zaire) bis heute hunderttausende ruandische Flüchtlinge leben, wird den Deutschen ebenso wenig bekannt gewesen sein wie die derzeitigen politischen Verhältnisse in Ruanda. Die deutschen Medien haben sich damit nicht beschäftigt, und wenn doch, dann war ihre Sicht der Dinge auffallend einseitig, vor allem wenn es um die Opposition zum aktuellen Regime in Kagali ging, wozu auch die „Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“ gehörte. 

Es wurde regelmäßig nicht gefragt, was die FDLR ist, sondern stets zu Beginn eines jeden Beitrags erklärend mitgeteilt, dass die FDLR eine brutale Miliz sei, die aus den Völkermördern von 1994 hervorgegangen sei und nun in der DRC ihr Unwesen treibe.* Diese generelle Einstellung hat sich im Jahre 2009 noch verfestigt, als im Kongo eine gemeinsame militärische Offensive der DRC und Ruandas gegen die FDLR durchgeführt wurde, infolgedessen  Meldungen von Kriegsverbrechen der Organisation in Umlauf kamen.

* Dieses bis heute immer wieder auch von deutschen Medien vorgebrachte Mantra, die FDLR sei aus den Völkermördern von 1994 hervorgegangen, wird selbst von der – dieser Organisation ansonsten sehr kritisch gegenüberstehenden – Menschenrechtsvereinigung Human Rights Watch angeprangert. So heißt es in dem Bericht „You will be punished“ vom Dezember 2009 zu diesem Punkt:
„Die Abstempelung der FDLR als „Völkermörder“ oder „Interahamwe“ (Beteiligte am Völkermord von 1994), wie sie häufig von Kommentatoren ebenso wie von Diplomaten vorgenommen wird, ist nicht korrekt. In einer Region, in der die ethnischen Spannungen nach wie vor groß sind und in der der Einsatz solcher Stempel häufig für politische Zwecke missbraucht wird, kann ein solches Handeln sogar gefährlich sein.“

a) Das Thema FDLR ist in den deutschen Medien in der Hand einiger weniger Journalisten, die sich aus unterschiedlichen Motiven teils jahrelang damit beschäftigt haben. Zum einen veröffentlichte die „taz“ regelmäßig Artikel über die Verhältnisse in der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda. In der ARD war es das Magazin „Fakt“, in dem der Reporter Markus Frenzel im Jahre 2008 „aufdeckte“, dass der Präsident der FDLR Dr. Ignace Murwanashyaka in  Deutschland lebt – was niemals ein Geheimnis war – und mit ihm auch ein Interview führte.*

* Dafür wurde er mit dem Marler Fernsehpreis für Menschenrechte der deutschen Sektion von
Amnesty International ausgezeichnet.

Im Jahre 2009 nahm sich Frenzel erneut dieses Themas an und kritisierte nachdrücklich die abwartende Einstellung der deutschen Ermittlungsbehörden in der causa Murwanashyaka angesichts des neuen Geschehens in der DRC, wo der FDLR insbesondere ein Massaker in dem Dorf Busurungi zugeschrieben wurde.

Es ist sicher nicht falsch zu sagen, dass vor allem die öffentlichkeitswirksame Arbeit dieses Journalisten mit dazu führte, dass der Präsident und sein Vize festgenommen worden sind.*

* So sieht es auch FAKT selbst: „Dass es überhaupt zu dem Prozess kam, ist auch dem ARD-Magazin FAKT zu verdanken“, hieß es auf der Homepage des Magazins, vormals unter (http://www.mdr.de/fakt/huturebellen100.html). 

Im Mai 2011 war dann Frenzel selbst zu Beginn des Strafprozesses vor dem Oberlandesgericht  Stuttgart ein begehrter Gesprächspartner und behauptete in einem Interview u.a. folgendes:

„Sie haben vorhin dieses Massaker in Busurungi angesprochen, das geht auf direkten Befehl von ihm (= Dr. Murwanashyaka) zurück. Er hatte eine Art Kommissarbefehl von Mannheim aus gegeben. Den Funkspruch haben die Vereinten Nationen abgefangen. Und dieser Funkspruch lautete: Richtet eine humanitäre Katastrophe unter der Zivilbevölkerung an. Ich habe dann auch noch seine Telefonlisten verglichen, abgeglichen um dieses Massaker von Busurungi herum. Da lässt sich relativ klar dann auch rekonstruieren, dass die Befehle von ihm dann per SMS zum Oberkommandierenden in Kivu gingen, der direkt dann auch in Kontakt tritt mit seinem kleinen Feldkommandanten, der dann wenige Stunden später loszieht und in  Busurungi dieses Massaker mit 96 Toten anrichtet.“*

* http://www.deutschlandfunk.de/er-ist-ein-absoluter-hardliner.694.de.html?dram:article_id=70014

Da wusste der Reporter Frenzel bereits vor Beginn der Hauptverhandlung mehr als die Stuttgarter Richter nach einer umfangreichen Beweisaufnahme über vier Jahre später.

So hat sich die Behauptung, dass der Präsident der FDLR vor dem Angriff auf das Dorf Busurungi „Befehle“ gegeben habe, nicht bewahrheitet, denn die – in den von Frenzel genannten Telefonlisten aufgeführten – Telefonkontakte zwischen dem Präsidenten der Vereinigung und den Verantwortlichen im Kongo waren von den deutschen Strafverfolgern abgehört worden und wiesen keinerlei Bezug zu dem Geschehen in Busurungi auf. Auch die Behauptung eines angeblichen „Kommissarbefehls“ des Präsidenten, im Kongo eine humanitäre  Katastrophe anzurichten, hat der gerichtlichen Nachprüfung in Stuttgart nicht standgehalten.*

* Dies war beim FDLR-Prozess vor dem OLG Düsseldorf anders, was allerdings dem Umstand geschuldet war, dass der Senat die Validität dieser Behauptung während der Beweisaufnahme nicht weiter überprüfte.

Wahrscheinlich bestand nur ein einziges Mal Einigkeit zwischen den Verfahrensbeteiligten in Stuttgart, als nämlich Mitte 2014 eine neue Reportage von Frenzel in „Fakt“ gesendet wurde, in dem er u.a. behauptete, die Angeklagten stünden möglicherweise kurz vor einem Freispruch, weil der Generalbundesanwalt (von ihm recherchierte) entscheidende Beweise bewusst nicht zur Kenntnis nehme. Überall war bei diesem Thema nur ungläubiges Kopfschütteln zu sehen.

b) Zu Beginn der Hauptverhandlung im Mai 2011 wurde in der ARD auch ein Filmbericht der Journalistin Susanne Babila gesendet, die den Fall von Dr. Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni unter dem Titel „Die Kriegstreiber von nebenan“ verarbeitete. Frau Babila war bereits einige Zeit vorher im Kongo gewesen, um unter dem Titel „Im Schatten des Bösen – Der Krieg gegen die Frauen im Kongo“ eine Dokumentation über die Lage der Frauen in diesem Gebiet  zu machen.*

* Für den Film erhielt sie 2008 den Menschenrechtsfilmpreis und ein Jahr später ebenfalls den Marler Fernsehpreis
für Menschenrechte der deutschen Sektion von Amnesty International.

Die Wochenzeitung Kontext schrieb im August 2011 über die Journalistin und den Prozess:

„Susanne Babila wird den Prozess weiter verfolgen, mit kühlem Verstand und heißem Herzen. Und mit der großen Hoffnung, dass man in Deutschland, hier in Stuttgart, zu einem gerechten  Urteil findet. Und dass die Anführer der Terrorgruppe haftbar gemacht werden für die Gräuel, die unter ihrer Führung im Kongo verübt wurden. Vorgesetzten-Verantwortlichkeit nennen dies  die Juristen rechtlich distanziert. „Das wäre“, sagt Babila, „ein Signal nach Afrika.“*

* http://www.kontextwochenzeitung.de/ueberm-kesselrand/21/die-wahrheit-ist-eine-schnecke-1465.html

Frau Babila wünschte sich demnach zu Beginn des Prozesses „ein gerechtes Urteil, in dem die Anführer der Terrorgruppe haftbar gemacht werden für die Gräuel im Kongo.“

Viel schöner als die „konkret“-Journalistin Susanne Stiefel kann man Voreingenommenheit eigentlich kaum formulieren. Wobei allerdings schon der Umstand, dass man eine Dokumentation zu Beginn einer Hauptverhandlung „Die Kriegstreiber von nebenan – Deutschland und der Terror im Kongo“ nennt, die Geisteshaltung auch dieser Journalistin verdeutlicht. Der Begriff „Kriegstreiber“ ist von deutschen Gerichten schon als eine strafrechtlich  relevante Beleidigung gem. § 185 StGB angesehen worden.*

* Vgl. OLG Hamm, NJW 1982, 660.

Was aber mehr noch als die gar nicht verschleierte Voreingenommenheit an einem solchen Bericht schockiert, ist die Vorgehensweise einer preisgekrönten Filmemacherin, die erst bei der Ansicht ihrer beiden Filme über das Geschehen im Kongo auffällt.

Der erste Film enthält eine Szene, in der tote Kinder nach einem Überfall auf das Dorf Kaniola am 26. Mai 2007 auf dem Boden liegen. Man sieht den Dorfsprecher reden und hört den  Übersetzer sagen:

„Wir können die Täter nicht auseinander halten. Ob Interahamwe, FDLR oder Banditen –
wir wissen nur, dass sie die Sprache Ruandas sprechen.“

Dieselbe Szene benutzt Frau Babila auch in ihrem Film „Die Kriegstreiber von nebenan“. Wieder sieht man die toten Kinder. Wieder sieht man den Dorfsprecher reden. Aber diesmal hört man die Reporterin sagen:

„Wir fragten die Dorfbewohner damals, wer sind die Täter. Ruandische FDLR-Milizen sagten sie.“

Kurz darauf heißt es:

„Später erfuhren wir, ein Kommandant der FDLR hat den Befehl gegeben. Eine Strafaktion, denn die Dorfbewohner hatten sich gegen die ruandische Miliz gewehrt.“

Innerhalb von zwei Jahren wird bei der Journalistin Babila aus einem Überfall, dessen Urheberschaft nicht geklärt werden konnte (und offensichtlich bis heute nicht geklärt ist), eine Tat der FDLR.

Dass diese Tat damals durch Dr. Murwanashyaka ausdrücklich verurteilt worden war und jede Verantwortung der FDLR dafür bestritten wurde, wird im Film nicht mitgeteilt, sondern stattdessen nach der Beerdigung der Opfer mit dramatischer Musikuntermalung auf  Schwarz-Weiß-Bilder des Präsidenten geschnitten.*

* Der Verf. hat Frau Babilla im November 2015 angeschrieben, um zu fragen, welcher FDLR-Kommandant diesen Befehl gegeben habe und woher ihre diesbezügliche Information stamme. Sie hat nicht geantwortet.

Der Film „Die Kriegstreiber von nebenan“ ist im Internet bis heute einsehbar, es braucht keine erneute Ausstrahlung im Fernsehen, um ihn weiterzuverbreiten. Die Reportage sagt wenig über die FDLR aus, aber sehr viel über die Arbeit deutscher Journalisten.

Je mehr man von den Hintergründen versteht, desto bodenloser empfindet man das Vorgehen einer Filmemacherin, die die FDLR regelrecht satanisiert. So schildert ein Junge von seinen angeblichen Erlebnissen mit der FDLR, wonach dort Kinder, die als Träger eingesetzt werden, erschossen werden, sobald sie etwas fallen lassen.

c) Diese Beispiele angesehener Fernsehjournalisten zeugen von der Oberflächlichkeit der Arbeit selbst der Journalisten, die zur besten Sendezeit im öffentlichrechtlichen Fernsehen ein Podium erhalten. Sie machen deutlich, wie einfach es sich deutsche Journalisten gemacht haben, die nicht kritisch die Anklage des Generalbundesanwalts hinterfragen, sondern deren Ziel es gewesen zu sein scheint, die bereits fortgeschrittene Dämonisierung der FDLR zu bedienen und bereits im Vorfeld des Prozesses die Beweislage als eindeutig zu skizzieren. 

Der ungeheure Aufwand, der nachweisbar in Deutschland bei einem Staatsschutzverfahren betrieben wird, wendet sich auch insoweit gegen die Angeklagten, als in der veröffentlichten Meinung die Vorstellung kaum existiert, dass der Generalbundesanwalt einen Unschuldigen anklagen könnte. Es ist heutzutage schon ein Zeichen von seriösem Journalismus, zu Prozessbeginn das Adjektiv „mutmaßlich“ zu benutzen.

3. Die Anklagebehörde

Die Öffentlichkeit wurde am ersten Hauptverhandlungstag durch die Verlesung der Anklageschrift durch den Vertreter des Generalbundesanwalts über die konkreten Anklagepunkte informiert.

Hört oder liest man diese Anklageschrift, muss man erschreckt feststellen, dass sie sich in ihrer Wortwahl kaum von den angesprochenen Medienberichten unterscheidet. Es werden Worte wie „Schreckensherrschaft“, „brutale Unterjochung“, „ständige Unterdrückung und Rechtlosstellung“, „planmäßige humanitäre Katastrophe“ und „bestialische Gewaltakte“ verwendet, um das Verhalten der FDLR im Kongo zu charakterisieren. Der negative Höhepunkt wird erreicht, wenn behauptet wird, Taten würden zur „Befriedigung niederster Triebe und Rachegelüste der Milizionäre“ begangen. Es wird berichtet, dass „einer schwangeren Frau der Bauch aufgeschlitzt wurde“, „eine Zehnjährige brutal gegen eine Mauer geschlagen wurde“, „Männer bei lebendigem Leibe verbrannt wurden“, „ein Mann mit einer Machete enthauptet wurde“ oder „Zivilisten zerhackt wurden“.

Seht her, war die Botschaft der Anklageschrift, diese beiden Männer sind für grausamste Taten verantwortlich, für die Tötung von Frauen und Kindern. Der nächste Schritt der Ankläger, um zur schwersten Schuld der beiden Angeklagten zu kommen, war nur noch konsequent: die beiden Angeklagten sind die Führer dieser Horde Wilder, die alles tun, was man ihnen sagt, weil schließlich in der Organisation alles streng hierarchisch organisiert ist, und damit sind die Angeklagten für all diese unmenschlichen Taten persönlich verantwortlich.

Selbst wenn sie diese Taten nicht angeordnet haben sollten, so haben sie diese Taten zumindest gebilligt. Und was für eine Strafe ist angemessen, wenn man wilden Tieren keine Fesseln anlegt, sondern sie auf Zivilisten losgehen lässt mit der zwingenden Folge, dass sie Schwangeren den Bauch aufschneiden oder so schwer vergewaltigen, dass sie an den erlittenen Verletzungen sterben, oder Kinder töten, indem sie sie mit voller Wucht vor Mauern schlagen?

Die Unmenschlichkeit der Taten und der Täter wurde durch die deutsche Anklagebehörde plakativ in den Vordergrund gerückt, wodurch die Soldaten der FOCA* indirekt auf die Stufe von wilden Tieren gestellt, die von den Angeklagten  geführt wurden, ein ungeheuerlicher, nicht akzeptabler Ausgangspunkt für ein Strafverfahren. **

* Inwieweit die FOCA als militärischer Flügel der FDLR eine eigenständige Vereinigung gewesen ist, war eine der Fragen, die im Prozess aufgeworfen wurden.

** Dies zog sich von der Anklageschrift bis zum Plädoyer der Vertreter des Generalbundesanwalts hin, wo von einem „parasitäres Festsetzen“ der FDLR in der Demokratischen Republik Kongo die Rede war.

Die emotionale Wucht der Anklagevorwürfe war somit so monströs, dass eine engagierte Verteidigung dagegen in der Öffentlichkeit fast automatisch als moralisch verwerflich wahrgenommen werden musste, so dass sich die Unschuldsvermutung praktisch auflöste.

So war es an der Verteidigung, darauf hinzuweisen, dass es gemäß Art. 1 des Grundgesetzes unverzichtbar ist, dass man auch die FOCA-Soldaten im Kongo als Menschen ansieht und nicht als Monster oder wilde Tiere, die zur „Befriedigung niederster Triebe und Gelüste“ handeln. Dass sie nicht freiwillig dort im Wald leben, mit ihren Familien in unmittelbarer Nähe, sondern aufgrund der politischen Entwicklung dort festgehalten werden. Die Soldaten der FOCA sind Menschen, die als Flüchtlinge in einem fremden Land unter schwierigsten äußeren Bedingungen im Wald leben, die unter bestimmten (politischen) Bedingungen in ihre Heimat zurückkehren wollen und unter denen es – wie bei der US Army oder der Bundeswehr – gute und schlechte Menschen gibt, die in Extremsituationen, z.B. wenn sie und ihre Familien während der Angriffe im Jahre 2009 in akuter Lebensgefahr schwebten, unterschiedlich handeln. Dies – und nicht eine Ansammlung von „Bestien“ – sollte der Ausgangspunkt sein, auf dessen Grundlage man Tatsachen überprüft und dann ggf. feststellt.

Es ist bezeichnend, dass alle im Prozess aussagenden Ex-FOCA-Kämpfer (= Ex-Terroristen, Ex-Bestien!) einen ordentlichen und sehr menschlichen Eindruck machten und am Ende keine dieser Schilderungen von „bestialischen Gewaltakten“ mehr Gegenstand von konkreten Vorwürfen waren, weil sämtliche Vorwürfe dahingehend vom Senat eingestellt wurden.

Dabei wurde auch allgemein übersehen, dass die Anklageschrift wie nebenbei auch Taten anderer Gruppen anspricht. Das mit mindestens 129 getöteten Zivilisten schlimmste Massaker, von dem in der gesamten Anklage die Rede ist, wurde nicht der FDLR zugeschrieben, sondern  der staatlichen kongolesischen Armee FARDC.*

* Diese Taten begingen die kongolesischen Soldaten, während sie offiziell von der „Friedenmission der UN“ unterstützt wurden. Als entsprechende Vorwürfe aufkamen, dass die Vereinten Nationen eine Armee unterstützt haben, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen habe, äußerte sich Alan Doss, der damalige Leiter der MONUC, auf einer Pressekonferenz am 14.12.2009 wie folgt: „Es ist ein moralisches Dilemma. Das leugne ich nicht. Aber wenn wir einfach sagen, wir werden nicht an der Seite der FARDC gehen, ich bin mir da nicht sicher, dass es das Leben für die Frauen und die Kinder des Kivus besser machen würde, und wenn wir bewaffnete Gruppen sich vermehren ließen, würde es das sicherlich auch nicht besser machen. Aber es ist eine schwere Entscheidung für uns. Es ist eines der Dilemmas, denen wir täglich gegenüberstehen, wenn etwas Fürchterliches passiert, deshalb denke ich, wir müssen mit dem Integrationsprozess fortfahren, wie wir dies in der Vergangenheit gemacht haben, aber dabei deutlich machen, dass es natürlich Grenzen gibt, und ich denke, dass wir alle erkennen, dass man eine staatliche Armee nicht ersetzen kann. Die UN wurde nicht deswegen geschickt.“ Für das Massaker von Shario, dem kein Angriff der FDLR vorausgegangen war, wurde bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen. Niemand hat auch je verlangt, dass die politisch Verantwortlichen in der DRC oder bei der UNO vor Gericht gestellt werden müssten.

Es handelte sich um einen Angriff auf die Ortschaft Shario, der zu einem Gegenschlag durch die Mitglieder der FOCA in Busurungi führte. Die Opfer von Shario waren ruandische Flüchtlinge, eine Personengruppe, die nur an dieser einzigen Stelle in der Anklage überhaupt auftauchte.

Wer die Anklageschrift hörte, konnte ansonsten leicht übersehen, dass in den Kivu-Provinzen nicht nur die Soldaten der FOCA zuhause waren, sondern auch ruandische Flüchtlinge, als ob diese beiden Gruppen nichts miteinander zu tun hätten. Dabei waren diese Flüchtlinge nach dem Exodus von 1994 immer noch in der DRC und hatten Angst, unter dem derzeitigen Regime  nach Ruanda zurückzukehren.*

* Nach der Aussage von mehreren Zeugen war die FOCA auch deshalb auf ein gutes Verhältnis mit der kongolesischen Zivilbevölkerung aus, weil ansonsten die eigenen Zivilisten besonders gefährdet gewesen wären.

Ein illegales Besatzungsregime durch 10.000 Soldaten zu behaupten, ohne auf Hunderttausend ziviler ruandischer Flüchtlinge einzugehen, die vor Ort von diesen geschützt wurden, war bereits zu Beginn des Verfahrens eine bewusste Verzerrung der Wirklichkeit durch die höchste deutsche Anklagebehörde.

4. Der angeklagte Mensch

In einem deutschen Staatsschutzverfahren werden (zumindest nicht geständige) Angeklagte durchleuchtet, ihr ganzes bisheriges Leben steht auf Prüfstand. Ein falsches Wort vor vielen Jahren kann plötzlich wichtig sein und als Indiz dafür gelten, dass man es hier in Wahrheit mit  einem Extremisten zu tun hat.*

* Im Al-Qaida-Verfahren hatte mein Mandant am 11.09.2001 als Aushilfe in einem amerikanischen Hotel beim Anblick der brennenden Türme des World Trade Center geäußert, dass für den Fall, dass es sich um einen palästinensischen Täter handeln würde, er alle Anwesenden am nächsten Morgen zum Frühstück einladen würde. Was als eine geschmacklose Reaktion eines staatenlosen Palästinenser begann, entwickelte sich im Verlauf des Verfahrens mangels anderer belastbarer Hinweise zum entscheidenden Beweis für eine extremistische Grundhaltung des jungen Mannes.

Wenn also beispielsweise der Vizepräsident der FDLR Straton Musoni irgendwann einmal öffentlich oder auch nur im kleinen Kreis gegenüber Zeugen eine extremistische Äußerung in Bezug auf Ruanda gemacht oder sich gar rassistisch über die Bevölkerungsgruppe der Tutsis geäußert hätte, so wäre dies in der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht Stuttgart mit Sicherheit zur Sprache gekommen, wenn es aktenkundig geworden wäre. Jedoch fehlte dies vollkommen: kein Zeuge, der von solchen Momenten berichtet hat; keine extreme Äußerung in einem der vielen aufgezeichneten Telefonaten; kein extremer Inhalt eines von ihm unterzeichneten Dokuments.

Ein solcher Umstand ist höchst eigentümlich, wenn man bedenkt, dass dieser Mann laut dem Plädoyer der Vertreter des deutschen Generalbundesanwalts der Vizepräsident einer „brutalen und unbarmherzigen Miliz“ war, dass er einer „rassistischen Ideologie“ nachhing und dann auch noch eine „perfide, menschenverachtende Gesamtstrategie“ billigte, der Hunderte unschuldige Zivilisten zum Opfer fielen.

Wäre nicht zu erwarten gewesen, dass diese üble Gesinnung eines Mannes, der sich in Deutschland perfekt eingegliedert hatte, mit einer deutschen Ehefrau zwei Kinder hatte, in einem Reihenhaus wohnte und regelmäßig die Kirche besuchte, nach der aufwendigen Ermittlungsarbeit an irgendeinem Ort deutlich geworden wäre? Vielleicht wäre es ein Ansatz gewesen, wenn man mal überlegt hätte, ob der politische Einsatz für eine Bevölkerungsgruppe, von der sich viele Mitglieder im Jahre 1994 schuldig gemacht haben, nicht von vornherein als  Kampf für Völkermörder diskreditiert werden sollte.*

* Gerade in Deutschland sollte man auf diesem Gebiet äußerst vorsichtig sein, denn die eigene Geschichte mit dem vermutlich größten Völkernord der Menschheitsgeschichte lehrt, dass sich politisches und demokratisches Engagement im Nachgang eines solches Ereignisses durchaus lohnt.

Und dass der nicht verstummende Ruf nach einem „innerruandischen Dialog“ nicht nur eine Phrase, sondern eine echte Herzensangelegenheit war, auch wenn dieser hilflos in Richtung einer Diktatur getätigt wurde. Aus Sicht des Verf. ist mehr als bedenklich, wenn die deutsche Justiz Menschen als Terroristen verurteilt, die in ihrem gesamten politischen Leben – stets im Ehrenamt und nie hintergründig auf der Suche nach eigenen finanziellen oder machtpolitischen Vorteilen – immer nur die Lösung der politischen Probleme durch Dialog und Demokratie vertreten haben.

Insofern hat die Verurteilung von Straton Musoni in diesem Sinne sehr wenig über seine Person ausgesagt, aber sehr viel über die deutsche Strafjustiz. Wenn Straton Musoni ein Terrorist ist und der ruandische Präsident Paul Kagame ein allseits angesehener Staatsmann, obwohl er für Tausende toter Flüchtlinge verantwortlich ist und in Ruanda eine Diktatur errichtet hat, in der jede Opposition im Keim erstickt wird, dann steht die Welt auf dem Kopf.

5. Das Fazit

Es bleibt festzuhalten, dass im vorliegenden Verfahren – mehr noch als in den meisten anderen Staatsschutzverfahren – die Angeklagten und die Verteidiger von Anfang an aufgrund der horrenden Anklagevorwürfe unter starkem Druck gestanden haben. Dies dürfte aber nicht minder für die beteiligten Staatsanwälte und Richter gegolten haben, somit das gesamte rechtsstaatliche System. Es bestand von Beginn an die Gefahr, die der renommierte Psychologe Max Steller einmal hinsichtlich des Themas sexueller Missbrauch formuliert hatte, nämlich dass die emotionale Wucht des Vorwurfs grundsätzlich geeignet ist, zuweilen das Denken zu beeinträchtigen, auch das von sonst rationalen Juristen.* Dessen sollten sich alle Beteiligte in  einem solchen Verfahren bewusst sein.

* Steller in „Nichts als die Wahrheit?“ Heyne Verlag 2015, S.162.

Als Verteidiger hat man realistisch einzuschätzen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Bundesgerichtshof ein Urteil aufhebt, das am Ende einer 319 Tage dauernden Beweisaufnahme über einen Zeitraum von über vier Jahren ergangen ist, nicht allzu hoch ist. Ein Angriff auf die Beweiswürdigung scheint von vornherein aussichtslos, weil es schon genügend rechtlich brisante Fragen gibt, mit denen sich der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs beschäftigen kann. Der amerikanische Strafrechtsprofessor Alan Dershowitz unterscheidet gerne zwischen dem Urteil des Gerichts und dem Urteil der Geschichte. Die Angeklagten werden vermutlich noch einige Zeit auf das Urteil der Geschichte warten müssen. Die Wahrheit ist eine Schnecke.

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