Sascha Petzold, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, München
zu OLG München, Beschluss vom 03.11.2016 – 2 Ws 1102/16

I. Das Problem

Bei Fragen der Kompetenz und der Redlichkeit in der Rechtsanwendung bei Richtern können Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung bislang als gegensätzlich bezeichnet werden.

Während Richter nicht müde werden, sich wegen Ihrer Staatsnoten zu rühmen, oder, wie eine  Amtsrichterin am AG Würzburg ausführte:

„Ebenso darf man davon ausgehen, dass der Richter die Gesetze, auch das Grundgesetz, kennt und anwendet, ohne dass er das im Einzelnen schriftlich darlegt. Die Eingangsvoraussetzungen zum Beruf des Richters oder Staatsanwalts sind in Bayern bekanntermaßen hoch.“

kann ich diesen Optimismus nicht teilen. Nachdem ich bereits zwei mal – vergeblich – versucht habe, bayerischen Richtern und Staatsanwälten zu erklären, dass eine Betrugsstraftat nicht in Betracht kommt, wenn die Täuschung erst nach der Vermögensverfügung erfolgt.

Das größere Problem ist aber die ungeheuere und unkontrollierte Macht, die der Staat den Richtern und Staatsanwälten quasi vor die Füße wirft. Es soll Charaktere geben, die dem nicht gewachsen sind. Hierzu lege ich allen (auch und besonders den angesprochenen Richtern und Staatsanwälten) den Beitrag von Prof. Dr. Ulrich Sommer „Über Macht und Verantwortung“ (StraFo 2017, 1 ff) ans Herz.

Die Macht verführt dazu, sich nicht an Gesetz und Ordnung gebunden zu fühlen und begünstigt die Ignoranz. Bestärkt wird der Effekt durch die Gewissheit, dass man a) nicht entdeckt und b) ggfs. nicht belangt wird.

Die confront kann nicht belangen, aber beobachten. Allein das Gefühl der Beobachtung fördert nach einer wissenschaftlichen Studie die Bereitschaft zur Redlichkeit.

II. Zum Sachverhalt

Im August 2015 klagte die Staatsanwaltschaft wegen Betrugs in Tatmehrheit mit zwei Fällen der Urkundenfälschung an und beantragte zugleich Haftbefehl wegen Wiederholungsgefahr.

Das LG München II wies im Dezember 2015 den Antrag auf Erlass des Haftbefehls zurück. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft erließ das OLG München im Februar 2016 den beantragten Haftbefehl.

Nach erstinstanzlicher Verurteilung beantragte die Verteidigung im August 2016 mündliche Haftprüfung, die vom Berufungsgericht im September verworfen wurde.

In der Beschwerde zum OLG trug die Verteidigung u.a. vor, dass das Gesetz für die Annahme einer Wiederholungsgefahr mindestens zwei Katalogtaten vorsehe; zumal sehe das Gesetz eine Höchstdauer für die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr von 1 Jahr vor.

Das OLG versagte der Beschwerde den Erfolg.

III. Aus der Entscheidung

… Entgegen der Auffassung des Verteidigers setzt die Wiederholungsgefahr nicht etwa voraus, dass der Angeklagte mindestens zweier Katalogtaten hinreichend verdächtig wäre. Eine entsprechende Einschränkung ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Maßgeblich ist lediglich, dass der Angeklagte einer entsprechenden Straftat hinreichend verdächtig ist (…) und dass bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere  erhebliche Straftaten gleicher Art* begehen werde.

* Hervorhebung im Original

Eine zeitliche Beschränkung der Untersuchungshaft ergibt sich aus dem Gesetz nicht, vielmehr fordert § 112a Abs. 1 Satz 1 a.E. StPO lediglich, dass im Falle des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten sein muss.

gez.

Dr. Meier-Kraut | Gacaoglu | Titz

Vorsitzende Richterin | Richter | Richterin
am Oberlandesgericht

IV. Nachlese

1. Wiederholte Katalogtat

§ 112a StPO – Haftgrund der Wiederholungsgefahr

(1) Ein Haftgrund besteht auch, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist,

2.   wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat nach den §§ 89a, 89c Absatz 1 bis 4, nach § 125a, nach den §§ 224 bis 227, nach den §§ 243, 244, 249 bis 255, 260, nach § 263, nach den §§ 306 bis 306c oder § 316a des Strafgesetzbuches oder nach § 29 Abs. 1 Nr. 1, 4, 10 oder Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes oder nach § 4 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes

begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und in den Fällen der Nummer 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. In die Beurteilung des dringenden Verdachts einer Tatbegehung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 sind auch solche Taten einzubeziehen, die Gegenstand anderer, auch rechtskräftig abgeschlossener, Verfahren sind oder waren.

Für diejenigen, die nach dem Lesen des Normtextes noch Zweifel haben, hier aus dem  Tischkommentar* der Richterschaft, der der Verteidigernähe stets unverdächtig ist:

„Die Tat muss wiederholt oder fortgesetzt begangen worden sein, dh mindestens zweimal  durch rechtlich selbständige Handlungen (…).“

* Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 112a, Rn. 8

2. Höchstdauer der Untersuchungshaft

§ 122a StPO – Höchstdauer der Untersuchungshaft bei Wiederholungsgefahr

In den Fällen des § 121 Abs. 1 darf der Vollzug der Haft nicht länger als ein Jahr aufrechterhalten werden, wenn sie auf den Haftgrund des § 112a gestützt ist.

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