von Nicole Friedrich, Rechtsanwältin, Berlin

Zunächst erschienen als Nachruf für die Vereinigung Berliner Strafverteidigung e.V.

Am 03.07.2017 ist unser ehemaliger Vorsitzender und Ehrenmitglied Gerhard Jungfer im Alter von 77 Jahren nur kurze Zeit nach seinem Geburtstag verstorben.

Für mich – wie für viele Kolleginnen und Kollegen – hat er das Berufsbild des Strafverteidigers wie kaum jemand geprägt.

Als Referendarin in seiner Kanzlei in Berlin-Schmargendorf begrüßte er mich mit den Worten „Sie sind nun in der Höhle, in der Höhle des Strafverteidigers.“ So war es.

Er war der „Kämpfertyp“ – wie er ihn bei der Einteilung der Verteidigertypen in seinem Aufsatz „Psychologie des Vergleichs“ selbst beschrieben hatte. Er hatte die „Bereitschaft zum Streit“.  Strafverteidigung war für ihn die „Speerspitze der Demokratie“.

Besondere Bedeutung dabei kam für ihn der Form zu. Auf der Internetpräsenz seiner  Kanzlei zitierte er Rudolf von Jhering:

„Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Denn die Form hält der Verlockung der Freiheit zur Zügellosigkeit das Gegengewicht, sie lenkt die Freiheitssubstanz in feste Bahnen, daß sie sich nicht zerstreue, verlaufe, sie kräftigt sie nach innen, schützt sie nach außen.“

Bei solcher Affinität zur Form war es nur konsequent, dass ein breites Feld seiner erfolgreichen Verteidigertätigkeit das Revisionsrecht war. Wie kaum ein Anderer spürte er Fehler in Verfahren und Urteil auf. Er nahm die Urteilsbegründungen auseinander, sezierte diese, zeigte die Fehler auf, argumentierte punktgenau. Zahlreiche erfolgreiche Revisionen waren sein Verdienst.

Vor Gericht war er nie bange, nie bequem. Er kämpfte, scheute keinen Konflikt.

Einige Erlebnisse brachten mich zu Schmunzeln. Aber ihm war es todernst. Noch als Referendarin begleitete ich ihn zu Hauptverhandlungen. Einem Richter, der bei einer Zeugenbefragung fehlende Aktenkenntnis offenbarte, entgegnete er „Ich werde den Saal jetzt verlassen, dann können Sie Ihre Arbeit machen.“ Auf die – unberechtigte –  Ablehnung eines Prozessantrages reagierte er mit den Worten „Ihnen fehlt das demokratische Grundverständnis.“

Bei der Vermittlung seines Berufsbildes bediente er sich einer bildhaften, geradezu martialischen Sprache. Jungen Kolleginnen und Kollegen in den Einführungsseminaren  der Rechtsanwaltskammer und in den Fachanwaltskursen erklärte er:

„Die Verteidigerin/der Verteidiger muss im Gericht stets ihren/seinen claim abstecken und verhindern, dass der Staatsanwalt seine Hand dort hineinsteckt. Anderenfalls ist darauf zu klopfen, wenn das nicht hilft, ist das Schwert zu ziehen und die Hand abzuschlagen. Gleichzeitig aber muss versucht werden, die eigene Hand möglichst weit in den claim des Gerichtes und des Staatsanwaltes hinein zu stecken.“

Er vermittelte eine Ethik der Strafverteidigung, an der es heute gelegentlich fehlt. Er war stets kollegial. Wann immer man ihn um Rat fragte, gab er Rat.

Sein großer Stolz war eine gut sortierte Bibliothek mit Anwalts- und historischer Literatur. Stets bot er – insbesondere jungen – Kolleginnen und Kollegen an, diese zu nutzen.

Schuld oder Nichtschuld waren für ihn nicht dominierend. Nie hätte er zugelassen, dass ein Angeklagter zum Objekt eines Verfahrens degradiert worden wäre. Es war ihm Berufsaufgabe, dafür zu sorgen, dass das formelle Recht eines Rechtsstaates eingehalten wird. Dafür warf er sich in die Bresche.

Kraft schöpfte er aus der Auseinandersetzung mit den großen Verteidigerpersönlichkeiten der Weimarer Zeit. Sie hatten ihn beeindruckt. Er verehrte Max Alsberg, Hans Litten, Max Hachenburg. In zahlreichen Aufsätzen, Veröffentlichungen und Vorträgen hat er an diese großen Juristen erinnert. Sein Credo war „eine geschichtslose Anwaltschaft ist gesichtslose Anwaltschaft“ und so hielt er die Erinnerung lebendig.

Seinem Engagement ist das von der RAK-Berlin erstmals 1998 herausgegebene Buch „Anwalt ohne Recht – Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933“ und die darauf beruhende Wanderausstellung zu verdanken. Auch hier hat er gekämpft. Dafür, dass das Schicksal der von den Nazis ausgegrenzten, verfolgten und getöteten Kollegen nicht in Vergessenheit gerät. 1993 gründete er mit weiteren Kollegen den anwaltlichen Historikerkreis, gemeinsam mit Prof. Dr. Stephan Barton initiierte er die Seite www.alsberg.de, die das Ziel verfolgt, „Materialien und Informationen zum größten deutschen Strafverteidiger Max Alsberg, einem breiten Publikum zugänglich zu machen“. Ein Museum der deutschen Anwaltschaft war sein Traum. Dafür engagierte er sich bis zuletzt. Vor allem für sein wissenschaftliches Werk erhielt Gerhard Jungfer am 21.08.2002 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

Das Berufsbild des Anwaltes und des Verteidigers hat Gerhard Jungfer in entscheidender Weise geprägt. Er ist Mitbegründer des Strafverteidigertages, Mitinitiator der Zeitschrift „Der Strafverteidiger“: 1977 war er Vorsitzender unserer Vereinigung, von 1983-1993 Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer Berlin. 2014 haben ihn die Mitglieder unserer Vereinigung – insbesondere wegen seiner Verdienste um den Berufsstand der Strafverteidiger – zum Ehrenmitglied ernannt.

Seine berufliche Tätigkeit begann er mit Kollegen in einer Berliner Kanzlei, ging dann nach Kolumbien, kehrte zurück nach Berlin und begründete eine eigene Kanzlei, in welcher er zahlreichen jeweils jungen Kolleginnen und Kollegen – auch mir – den Weg in die Strafverteidigung ebnete, sein Selbstverständnis vom Berufsbild des Verteidigers und dem Kampf ums Recht weitergab.

Nach einer Vielzahl von Veröffentlichungen erschien zu seinem 76. Geburtstag sein letztes  Werk: „Strafverteidigung. Annäherungen an einen Beruf.“ .*

* siehe im gleichen Heft (confront 2017 – 3) die Rezension von Prof. Dr. Jan Bockemühl.

Für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger war er stets ein Vorbild. Er war mein Vorbild.

Menü