Liebe Leser,

was bedeutet eigentlich konfrontative Strafverteidigung? Muss eine solche Verteidigung immer zu einer offenen Auseinandersetzung mit dem Gericht führen, an deren Ende gerichtliche Beschlüsse, Beweiserhebung oder Ablehnungen wegen der Besorgnis der Befangenheit beantragt werden.

Es gehört inzwischen zum Allgemeinwissen, dass die StPO auf Auseinandersetzung der beteiligten Personen ausgerichtet ist. Eine solche Auseinandersetzung kann sachlich und inhaltlich geführt werden, sie kann aber auch als Aufeinanderprallen unterschiedlicher Interessen geführt werden. Wer in letzterem Sinn verteidigt, sollte sich vorher die Frage beantworten, bis wohin er die Auseinandersetzung mit den ihm zur Verfügung stehenden Konfliktmitteln erfolgreich führen kann, bevor ihn die Macht der faktischen und gerichtlichen Entscheidungsgewalt einholt.

Wir sind der Meinung, dass auch konfrontativ mit den Vorgaben und Einfallstoren, welche uns die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung zur Verfügung stellt, verteidigt werden kann. Wir erdreisten uns sogar zu behaupten, dass jede Verteidigung, welche die Vorgaben der Rechtsprechung selbst anwendet, die effektivste Verteidigung ist.

Der BGH hatte mit der Entscheidung „2 StR 112/14“ (= HRRS 2016 Nr. 586) über Fragen der Beweiswürdigung bei DNA-Gutachten zu befinden. Im fünften Leitsatz des Bearbeiters bei HRRS (Henckel/Gaede) wird dazu ausgeführt, dass die Anforderungen, welche § 261 StPO an die tatrichterliche Überzeugungsbildung stellt, allein auf einer rationalen, verstandesmäßig einsichtigen und intersubjektiv diskutierbaren Grundlage beruhen brauchen. Weiter wird ausgeführt, dass die richterliche Würdigung den Gesetzen der Logik und den anerkannten wissenschaftlichen Erfahrungswissen nicht widersprechen dürfe. Insofern dürfen statistische Wertungen durchaus herangezogen werden und können auch als Kontrollmittel benutzt werden.

Die confront will in den nächsten Ausgaben versuchen diesen Verteidigungsansatz näher zu beleuchten und auszubauen. Den Anfang macht der Beitrag von Schüller / Lickleder, welcher der Frage nachgeht, wie bei Fällen des Massenbetrugs mit der repräsentativen Auswahl der Geschädigten durch das Gericht umzugehen ist. Dieser Beitrag zeigt deutlich, dass die eigentliche Verkürzung von Verteidigungspositionen das Tor in eine „neue Dimension“ aufstößt.

Mit der Suche neuer Verteidigungsansätze an Orten, an denen die Rechtsprechung zuvor versucht hat, eigene Arbeitserleichterung auf dem Weg zur Verurteilung zu schaffen und Einfallstore der Verteidigung zu schließen, begibt sich die Strafverteidigung auf das Feld der psychologischen „Kriegführung“.

Der Richter mag das Recht kennen, vielmehr weiß er häufig nicht. Die Konsequenz lautet deshalb, das Gericht auf ein unbekanntes „Kampffeld“ zu führen. Das kann der Gang ins Sachverständigengutachten sein, dass kann aber auch die unmittelbare Beeinflussung von Richter, Staatsanwalt oder Zeugen sein. Die einfachste Möglichkeit der Beeinflussung ist das Kopfschütteln von hinten nach vorne, nach hinten (Wiederholungen eingeschlossen), während man eine Behauptung aufstellt. Wenn das Gegenüber zuhört und das Nicken erkennt, dann wird es zustimmen wollen. Stimmt der Zuhörer nicht zu, dann tobt in ihm „kognitive Dissonanz“ – das innere Gefühl zustimmen zu wollen, aber eigentlich auch nicht zustimmen zu wollen.

Solche, praktische Psychologie wollen wir in den nächsten Ausgaben wagen. Psychologie ist seit einiger Zeit in der Rechtswissenschaft populär und darf in keinem Verteidigerhandbuch fehlen. Aber was nutzen die abstrakten Kenntnisse der kognitiven Dissonanz, des Ankereffekts, des Inertia- und Pygmalioneffekts, wenn mir niemand sagt, wie ich es konkret anwende; wie ich den Richter aus seinen Mustern rausholen kann?

Mit dem Beitrag von Stolle/Kuhn wollen wir zeigen, welche Probleme Strafverteidiger an den Grenzen der Rechtstaatlichkeit erwarten. Die Überwachung der Strafverteidigung ist für die meisten Verteidiger undenkbar. Aber es gibt sie. In der StPO. Noch ist sie allein auf die Strafverfahren bei Vorwurf der Bildung terroristischen Vereinigungen beschränkt. Ich bin aber der Ansicht, dass zukünftig die Anwendung auch auf andere Organisationsstrukturen durch den Gesetzgeber ausgeweitet werden könnte. Hier gilt es die Entwicklungen im Auge zu behalten und sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen.

Sascha Petzold   |   Gordon Kirchmann   |   Dr. Florian Englert

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