Verteidigung bei Trennscheiben- und Kontrollrichteranordnung gemäß § 148 Abs. 2 StPO
Ein Erfahrungsbericht aus dem Münchener Kommunistenverfahren

Dr. Peer Stolle, Fachanwalt für Strafrecht, Berlin und Stephan Kuhn, Fachanwalt für Strafrecht, Frankfurt/Main

Die Verteidigung in Staatsschutzverfahren, die vom Generalbundesanwalt geführt werden, unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von derjenigen in normalen Strafverfahren. Erstens handelt es sich bei den gegen die Mandanten erhobenen Vorwürfe fast ausschließlich um solche aus dem Vorfeld von Rechtsgutverletzungen (§§ 89 a, 129a ff. StGB). Zweitens spielen die Sachverhalte oft im Ausland. Die Anklage basiert daher zum großen Teil auf Beweismitteln aus Rechtshilfeersuchen und polizeilichen Informationsaustausch, die für die Verteidigung schwer überprüfbar sind. Drittens wird die Anklage gem. §§ 120 Abs. 2 i.V.m. 74a GVG an den Oberlandesgerichten erhoben und tendiert die Freispruchquote gegen Null. Viertens schließlich wird – zumindest bei der Verteidigung wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung gemäß §§ 129a und 129b StGB – die Effektivität der Verteidigung durch die auf § 148 Abs. 2 StPO gestützte Kontrollrichter- und Trennscheibenanordnung enorm erschwert.

In dem folgenden Beitrag sollen anhand der Erfahrungen aus dem sogenannten „Münchener Kommunisten-Verfahren“ – in dem gegen zehn Angeklagte türkischer und kurdischer Herkunft wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) gemäß § 129b StGB vor dem OLG München verhandelt wird – die Probleme dargestellt und diskutiert werden, die sich aus der letztgenannten Besonderheit für die Verteidigung ergeben. Zunächst wird die Regelung des § 148 Abs. 2 StPO vorgestellt, dann werden die Erfahrungen mit und der Kampf gegen diese Anordnung skizziert und schließlich rechtspolitische Aussichten formuliert.

Ein Relikt aus dem „Krieg gegen den Terror“

Der § 148 Abs. 2 StPO ist ein Relikt aus den 1970er-Jahren, in denen der proklamierte – seinerzeit innerstaatliche – „Krieg gegen den Terrorismus“ jegliche Einschränkungen von Beschuldigten- und Verteidigerrechten zu rechtfertigen vermochte. Die Norm führte zwar in den letzten Jahrzehnten rechtstatsächlich ein Schattendasein; dies aber nur, weil Anwendungsvoraussetzung ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer (ausländischen) terroristischen Vereinigung ist. Bei anderen Deliktsvorwürfen ist eine Anordnung nicht möglich. Angesichts der Renaissance des Staatsschutzstrafrechts und der Vielzahl der vom GBA nach eigenem Bekunden geführten Ermittlungsverfahren dürfte die Bedeutung der Vorschrift in jüngster Zeit gewachsen sein und weiter zunehmen.

Der zunächst als Muss-, dann als Soll-Vorschrift ausgestaltete § 148 Abs. 2 StPO hat zur Folge, dass in Verfahren nach § 129a StGB (auch in Verbindung mit § 129b StGB) die schriftliche Kommunikation zwischen dem inhaftierten Beschuldigten und seiner Verteidigerin durch einen sogenannten Leserichter kontrolliert wird. Ist eine solche Anordnung getroffen worden, muss gem. § 148 Abs. 2 S. 3 StPO bei Verteidiger-gesprächen in der Untersuchungshaft eine Vorrichtung angebracht werden, die eine Übergabe von Schriftstücken und anderen Gegenständen ausschließt – sprich eine Trennscheibe.

Historie

Mit einer Anordnung nach § 148 Abs. 2 StPO soll der Gesetzesbegründung zufolge verhindert werden, dass jemand, der einer Straftat nach §§ 129a StGB (der § 129b StGB wurde erst 2002 eingeführt) verdächtig ist, sich aus der JVA heraus weiterhin für die  terroristische Vereinigung betätigt und so zu deren Fortbestand beiträgt.*

* vgl. KG StV 2011, 296; OLG München StV 2013, 528.

Hintergrund dieses schwerwiegenden Eingriffs in den Schutz der Vertraulichkeit der Verteidigerkommunikation war die Behauptung, dass sich die damals wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der RAF Inhaftierten ihrer Verteidigerinnen (von denen teilweise behauptet wurde, dass sie selbst Mitglied der Vereinigung seien) für Kommunikationszwecke bedient haben sollen. Diese sollen einen Austausch mit anderen inhaftierten und weiteren Mitgliedern, die auf freiem Fuß waren, sichergestellt und so die Planung und Durchführung weiterer Anschläge ermöglicht haben.

Zu dem seinerzeit von der regierenden SPD eingebrachten Gesetzentwurf (BT-Drs. 7/3729) führte MdB Gnädiger (SPD) bei den Beratungen zur Zielrichtung des Gesetzes aus  (Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht 178. Sitzung, S. 12441): 

„Dieser Gesetzentwurf richtet sich erklärtermaßen gegen alle, die Mitglieder und Helfer einer kriminellen Vereinigung sind. Bevor ich darlege, welche gesetzlichen Maßnahmen in dem vorliegenden Initiativentwurf vorgeschlagen werden und warum wir diese Maßnahmen für notwendig, aber auch für ausreichend halten, möchte ich einige einleitende Bemerkungen machen.

Zunächst ein Wort zur Erscheinungsform der terroristischen Vereinigungen, mit denen wir es heute in unserem Lande zu tun haben. Es ist ganz offenbar, daß die terroristischen Gewalttäter ihre Aktivitäten gesteigert haben und nun auch mittels Geiselnahme die Befreiung von Gewalttätern aus den Gefängnissen betreiben. Das haben insbesondere die Ermordung des Berliner Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann, die Entführung von Peter Lorenz, aber auch der Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm gezeigt. Zur Erscheinungsform des heutigen Terrorismus gehört auch, daß sowohl die Inhaftierten untereinander in engem Kontakt stehen als auch eine Kommunikation zwischen inhaftierten und auf freiem Fuß befindlichen Terroristen besteht.

Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, aus den Zellen heraus in Ruhe neue Verbrechen zu planen und die für die Durchführung von Anschlägen notwendige Aufgabenverteilung sorgfältig vorzubereiten, machen die Gefährlichkeit dieser Organisationen aus. Nach unseren Erkenntnissen wird diese Kommunikation hauptsächlich durch einige Anwälte ermöglicht, die zum Teil selbst den kriminellen Vereinigungen als Mitglieder zuzurechnen sind. Gerade die Mitwirkung einiger Anwälte ermöglichte eine hervorragende juristische Beratung der Banden-mitglieder. Die Verbindung von hoher krimineller Energie mit juristischem Sachverstand hat eine neue Form von bei uns bisher nie erfahrener Kriminalität entstehen lassen.“

Unabhängig davon, ob diese Behauptungen und Unterstellungen zutreffend waren, ist seit den 1970er-Jahren kein anderer Sachverhalt bekannt oder behauptet worden, bei welchem sich auf Grundlage von §§ 129a, 129b StGB Inhaftierte ihrer Verteidiger bedient hätten, um aus der Haft heraus weitere Anschläge zu planen oder deren Durchführung zu organisieren. Eine mit dem „Deutschen Herbst“ vergleichbare Situation ist in der Bundesrepublik nie wieder entstanden. Die Norm ist daher obsolet geworden.

Rechtliche Einordnung

Einen zentralen Kern der Beschuldigtenrechte bildet das Recht auf eine effektive Verteidigung, welches wiederum eine nach außen hin abgeschirmte und vor Eingriffen geschützte Vertrauensbeziehung voraussetzt. Ausdruck findet dieser zentrale rechtsstaatliche Grundsatz in der Regelung des § 148 Abs. 1 StPO, der die »völlig freie Verteidigung« normiert. Dies meint eine Verteidigung, die von jeder Behinderung oder Erschwerung freigestellt ist und in deren Rahmen der Anwalt wegen seiner Integrität jeder  Beschränkung enthoben ist.*

* BGHSt 27, 260, 262.

Die Regelung des § 148 Abs. 2 StPO schränkt diese Verteidigungsrechte in rechtsstaatlich  inakzeptabler Weise ein.*

* vgl. BeckOK StPO/Wessing StPO § 148 Rn. 17; kritisch auch Birkhoff/Hawickhorst StV 2013, 540 ff.

Denn: Eine elementare Grundvoraussetzung für eine völlig freie Verteidigung bildet die Gewährleistung der jederzeitigen schriftlichen und mündlichen Kontaktaufnahme des Beschuldigten mit seinem Verteidiger. Dieses Verkehrsrecht, welches nicht nur dem Beschuldigten, sondern auch dem Verteidiger als eigenes Recht zusteht*, erfährt durch die  Regelung des § 148 Abs. 2 StPO drastische Einschränkungen**.

* BGH StV 1986, 1.

** Birkhoff/Hawickhorst StV 2013, 540.

Wenn man § 148 Abs. 2 StPO gleichwohl als (noch) verfassungsrechtlich zulässig ansehen sollte, ist seine Anwendung auf absolute Ausnahmefälle zu beschränken, die mit Sachverhalten, wie den in dem obigen Zitat aus dem Gesetzgebungsverfahren beschriebenen, vergleichbar sind. Unabhängig von der Frage, ob diese Behauptungen und Unterstellungen damals zutreffend waren, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass nur dann derart schwere Eingriffe in das Verteidiger-Mandanten-Verhältnis gerechtfertigt sein können, wenn objektive Anhaltspunkte bestehen, dass sie zur Abwehr schwerer Gefahren für elementare Rechtsgüter wie Leib und Leben Dritter erforderlich sind. So führt der EGMR in Bezug auf die alte Regelung des § 148 Abs. 2 StPO aus, dass Abweichungen von dem Grundsatz der Vertraulichkeit nur in Ausnahmefällen gestattet werden können und wenn es in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit und/oder die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten notwendig ist:

EGMR, NJW 2003, 1439, 1441:

„Das Lesen von Schreiben eines Häftlings an seinen Anwalt oder von diesem an den Häftling sollte nur in Ausnahmefällen gestattet sein, wenn die Behörden Anlass zur Annahme haben, dass dieses Privileg missbraucht worden ist, insoweit als der Inhalt des Schreibens die Sicherheit der Vollzugsanstalt oder Dritter gefährdet oder in einer anderen Weise verbrecherischer Natur ist. Die »Plausibilität« der Gründe hängt von den Gesamtumständen ab, jedoch setzt sie Tatsachen oder Informationen voraus, die geeignet sind, einen objektiven Beobachter davon zu überzeugen, dass der privilegierte Kommunikationsweg missbraucht wird«.“

Für eine an den Umständen des Einzelfalls orientierte Anordnungspraxis, die unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR Umstände, die in der Person des Beschuldigten, des Verteidigers bzw. der Vereinigung liegen, spricht auch die  Umgestaltung der Norm zu einer „Soll“-Vorschrift.*

* vgl. auch Birkhoff/Hawickhorst StV 2013, 540, 543.

Dabei ist ein restriktiver Maßstab anzulegen. Der Verteidiger genießt als Organ der  Rechtspflege einen verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensvorschuss.

* BVerfG NJW 2006, 1500; NJW 2012, 2790.

Die anlasslose Annahme, er werde ohne die in Rede stehenden Beschränkungen seine Rolle als Verteidiger dazu missbrauchen, eine weitere vereinigungsbezogene Betätigung des Beschuldigten zu ermöglichen, steht ersichtlich im Widerspruch zu dem ihm zu gewährenden Vertrauensvorschuss. Sie drückt vielmehr ein tiefes Misstrauen gegen die Person des Verteidigers aus, indem sie ihm unterstellt, nur durch Zwangsmaßnahmen von der Unterstützung der verfahrensgegenständlichen Vereinigung abgehalten werden zu können.

Die aktuelle Rechtsprechung wird diesen Anforderungen jedoch nicht gerecht. Sie sieht innerhalb des Ermessensspielraums nur dann Raum für ein Absehen von Trennscheibe und Kontrollrichter, wenn die Vereinigung entweder nicht mehr existiert* oder der Beschuldigte mit den Verfolgungsbehörden kooperiert und sich von der Vereinigung  losgesagt hat**.

* so das OLG München StV 2013, 528 in Bezug auf die inhaftierten Angeklagten im sog. NSU-Verfahren.

** so KG StV 2011, 296.

Aktuelle Erfahrungen aus dem Münchner Kommunisten-Prozess

Seit Juni 2016 findet vor dem OLG München die Hauptverhandlung gegen mutmaßliche Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch (TKP/ML) wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129b StGB statt. Neun der zehn Angeklagten befinden sich seit April 2015 in Untersuchungshaft; der zehnte Angeklagte befand sich zunächst für elf Monate in der Schweiz in Auslieferungshaft und nach seiner Überstellung nach Deutschland ebenfalls in Untersuchungshaft.

Auf Antrag des Generalbundesanwalts wurde durch die Ermittlungsrichterin beim BGH mit Verkündung des Haftbefehls ein Haftstatut erlassen, in dem u. a. angeordnet wurde, dass Verteidigerbesuche nur in Besprechungsräumen stattfinden dürfen, die mit einer Trennscheibe ausgestattet sind. Zudem wurde angeordnet, dass sämtliche schriftliche Kommunikation zwischen den Beschuldigten und ihren Verteidigern durch einen Leserichter kontrolliert wird. Dabei handelt es sich gemäß § 148a StPO um einen Richter an dem Amtsgericht, in dessen Zuständigkeitsbereich sich die JVA befindet.

Die Auswirkungen dieser Anordnung sind massiv. Sie verhindern eine effektive Verteidigung vor allem im Ermittlungs- und Zwischenverfahren. So konnte beispielsweise einer der Verfasser, der eine Nürnberger Ärztin in dem Verfahren mitverteidigt, diese zwar in einer Trennscheibenzelle zum Anbahnungsgespräch aufsuchen. Die Übergabe eines Vollmachtsformulars zum Gegenzeichnen wurde aber durch die Justizbeamtin mit der Begründung verwehrt, dass Schriftstücke nur nach Kontrolle durch den Leserichter übergeben werden dürften. Auf den Hinweis, dass es ja nicht um eine Übergabe gehe, sondern nur um eine kurzzeitige Aushändigung eines einsehbaren Formulars zum Zwecke der Unterschriftleistung und ohne diese eine Verteidigungsanzeige nicht erfolgen könne, wurde sich seitens der JVA auf die richterliche Anordnung zurückgezogen.

Rein praktisch hätte die Kontrollrichteranordnung so zur Folge, dass der Rechtsanwalt das Vollmachtsformular zunächst an den Kontrollrichter hätte schicken müssen, dieser das Schreiben prüfen, an die JVA weiterleiten, diese das Schriftstück an die Mandantin aushändigen und nach Unterschriftleistung über den Leserichter an den Rechtsanwalt hätte zurückgeben müssen, bevor sich dieser als Verteidiger zur Akte melden könnte. Eine Prozedur, die in solchen Verfahren gerne zwei Wochen dauern kann, in denen die Mandantin unter ungünstigen Bedingungen nicht verteidigt ist.* Erst auf mehrmaliges Insistieren des Rechtsanwalts konnte dann erreicht werden, dass eine Genehmigung der Ermittlungsrichterin eingeholt wurde und dem Rechtsanwalt durch die JVA einen Tag  später die unterschriebene Vollmacht per Fax übersandt wurde.

* Damit soll auf die – in diesem Fall nicht gegebene – Konstellation angespielt werden, dass der Beschuldigten nach Verkündung des Haftbefehls ein ihr unbekannter Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde, von dem sie sich nicht verteidigt fühlt, und sie einen Verteidigerwechsel anstrebt.

Faktische Verhinderung einer Verteidigungsvorbereitung

Die Anordnung eines Kontrollrichters gem. § 148 Abs. 2 StPO führt faktisch dazu, dass der Weg der schriftlichen Kommunikation mit der Mandantin zur Vorbereitung der Verteidigung ausgeschlossen ist.

Um überhaupt schriftlich mit der inhaftierten Mandantin kommunizieren zu können, muss man sich als Verteidiger schriftlich gegenüber dem Ermittlungsrichter dazu bereit erklären, dass die Post durch einen sogenannten Leserichter kontrolliert wird. Ansonsten wird die direkt an die Mandantin gerichtete Post durch die JVA nicht übergeben, sondern an die Verteidigerin zurückgeleitet.

Wenn man sein Einverständnis abgegeben hat, schickt man dann die an die Mandantin gerichtete Post an den Leserichter beim zuständigen Amtsgericht, der nach Kriterien, die wahrscheinlich ihm selbst auch unbekannt sind, die Post auf deren Inhalt kontrolliert – sprich durchliest – und dann entscheidet, ob er sie weiterleitet oder nicht. Da Kontrollrichteranordnungen aufgrund des beschränkten Anwendungsbereiches äußerst selten sind, besteht eine hohe Unsicherheit bei den Beteiligten, wie seitens des Kontrollrichters damit umgegangen wird bzw. – im Falle des Richters – nach welchen Kriterien überhaupt kontrolliert wird.

Als Verteidigerin oder Beschuldigte ist es nicht vorhersehbar, worin der Maßstab der Inhaltskontrolle besteht. Das Gesetz schweigt sich dazu aus. Nach dem BGH soll damit verhindert werden, dass der Gefangene sich aus der JVA heraus weiterhin für die  terroristische Vereinigung betätigt und so zu deren Fortbestand beiträgt.*

* NStZ 1984, 177.

Da es sich bei den §§ 129a, b StGB um Normen der Vorfeldstrafbarkeit handelt und mit „Beitragen zum Fortbestand“ eine sehr interpretationsoffene Handlungsweise umschrieben wird, wird man als Verteidigerin nur sehr rudimentär von dem Weg einer schriftlichen Kommunikation mit dem Mandanten Gebrauch machen. Sollte nämlich die Kontrollrichterin zu der Einschätzung kommen, dass sich der Schriftverkehr auf die „Förderung einer terroristischen Vereinigung“ bezieht* – was auch immer alles dazu gezählt werden kann –, wird die Beförderungserlaubnis versagt und ggf. durch die Richterin eine Anzeige nach § 138 StGB erstattet und der entsprechende Schriftverkehr in Verwahrung genommen, oder – wenn kein Straftatverdacht vorliegt – diese Post an den  Absender zurückgesandt (§ 148a Abs. 1 StPO).

* Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 148a Rn. 3.

Ggf. kann die Post auch zum Beweismittel in dem anhängen Verfahren werden. Da eine Auseinandersetzung mit dem Anklagevorwurf notwendigerweise eine Beschäftigung mit der anklagegegenständlichen Vereinigung beinhaltet, können bei einem mitlesenden Richter sensible Informationen, die die Verteidigungsstrategie unmittelbar betreffen, auf einem derartigen `Postweg´ nicht kommuniziert werden.

Aber auch aus tatsächlichen Gründen empfiehlt es sich, von einer schriftlichen Kommunikation nur sehr vereinzelt Gebrauch zu machen. In dem Münchener Kommunistenverfahren musste die Verteidigung u. a. die Erfahrung machen, dass das Bewusstsein über die Sensibilität der zu kontrollierenden Post bei den zuständigen Leserichtern nicht sehr ausgeprägt ist. So wurde Verteidigerpost, die zur Kontrolle an den Leserichter geschickt worden ist, von diesem offen, d. h. ohne Umschlag, an die Anstalt weitergeleitet, so dass die JVA-Beamten potentiell Kenntnis von dem Inhalt des Schreibens erlangen konnten. Als die Verteidigung daraufhin intervenierte, wurde im nächsten Fall die Verteidigerpost zwar in einem verschlossenen Umschlag weitergeleitet; allerdings ohne Absender und ohne die Kennzeichnung „Verteidigerpost“. Vermutlich wurde die Post an den für die Kontrolle des sonstigen Schriftverkehrs zuständigen Senat weitergeleitet; zumindest erhielt die Mandantin das Schreiben zusammen mit ihrer sonstigen Post.

Besonders skandalös war allerdings der Umgang der Kontrollrichter mit den beauftragten Dolmetscherbüros. Da die schriftliche Kommunikation zwischen dem Verteidiger und dem Mandanten in der Regel nicht in der deutschen Sprache geführt worden ist, musste die Post durch die Kontrollrichter zunächst in die deutsche Sprache übersetzt werden. Teilweise haben die Kontrollrichter Übersetzungsbüros nach Kostengesichtspunkten ausgewählt, wobei dann auch nicht immer auf vereidigte Dolmetscher Wert gelegt wurde. Auch wurde seitens der Kontrollrichter gegenüber den beauftragten Dolmetschern kein gesonderter Hinweis erteilt, dass es sich um sensible Dokumente handelt und die Dolmetscher einer besonderen Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen.

Erst durch entsprechende Anträge seitens der Verteidigung wurde weiter bekannt, dass bei den beauftragten Dolmetschern noch Kopien bzw. Dateien aus dem entsprechenden Übersetzungsauftrag der Kontrollrichter vorlagen und erst nach der Intervention der Verteidigung an diese der Auftrag erteilt wurde, diese zu löschen bzw. zu vernichten. In einem Fall wurde sogar offenbar, dass Verteidigerpost durch das beauftragte Dolmetscherbüro an Sub-Übersetzer in die Türkei – per E-Mail – übersandt und dort übersetzt worden war. Da sich das hiesige Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder einer Partei richtet, die den türkischen Staat bekämpft, ist davon auszugehen, dass diese auf elektronischem Weg übersandte Verteidigerpost vom türkischen Geheimdienst mitgelesen worden ist. Ob der Inhalt der Kommunikation wiederum im Wege des internationalen Nachrichtenaustauschs an bundesdeutsche Sicherheitsbehörden zurück gingen und was innerhalb der Türkei mit den oder aufgrund der Informationen geschah, entzieht sich naturgemäß der Kenntnis der Verteidigung.

Davon unabhängig ist die Kontrollrichteranordnung auch mit einer erheblichen Verzögerung in der Zustellung verbunden. In der Regel dauert die Kontrolle der Post mehrere Wochen, im Münchner Verfahren bei umfangreichen Sendungen teilweise gar mehrere Monate. Selbst kurze Schreiben in deutscher Sprache benötigten teilweise über zwei Wochen. Es ist offensichtlich, dass der Postweg zur Absprache mit der Mandantin für elementare Verteidigungstätigkeiten ausgeschlossen ist: Wenn das Gericht beispielsweise im Zwischenverfahren die 300-seitige Anklageschrift zustellt und eine Erklärungsfrist von fünf Wochen setzt, ist die Verteidigung auf deren persönliche Besprechung unter den Zumutungen der Trennscheibe verwiesen (dazu unten). Faktisch war eine effektive Verteidigung im Zwischenverfahren unter diesen Bedingungen unmöglich.

Sämtliche Umstände wurden von der Verteidigung im Zwischenverfahren und in der Hauptverhandlung thematisiert. Es wurde beantragt, die auf § 148 Abs. 2 StPO gestützten Anordnungen aufzuheben – ohne Erfolg. Der zuständige OLG-Senat lehnte den – wiederholt gestellten – Antrag auf Aufhebung seitens der Verteidigung mit dem – unzutreffenden – Argument ab, dass ihm „die Hände gebunden“ seien. Die gesetzlich und konventions-rechtlich erforderliche Einzelfallprüfung wurde nicht vorgenommen.

Besprechung in Trennscheibenzellen

Verteidigerbesuche in gesonderten Besprechungsräumen, die mit Trennscheiben ausgestattet sind, sehen rein praktisch so aus:

Eine Besprechung der Ermittlungsakte, die in diesem Verfahren seitens des Generalbundesanwaltes immer digital zur Verfügung gestellt wird, ist bei den Besuchen de facto nicht möglich. Wenn man als Verteidigerin bspw. bestimmte Stellen in der Akte erörtern will, verhindert die Trennscheibe, dass Mandantin und Verteidigerin gemeinsam in den Laptop schauen, um die entsprechenden Stellen durchzugehen. Man ist so gezwungen – vor allem, wenn es um konkrete Stellen in einem Dokument geht -, den Laptop an die Trennscheibe zu halten, um zu versuchen, die Mandantin auf die entsprechende Passage hinzuweisen, so dass diese wiederum versuchen kann, diese Stelle in der Aktenkopie auf ihrem – von der Anstalt zur Verfügung gestellten – Laptop wiederzufinden.

Es ist auch nicht möglich, gemeinsam bestimmte Stellen auf Ausdrucken aus der Akte zu markieren oder mit Anmerkungen zu versehen, wie man es üblicherweise bei Besprechungen mit der Mandantin macht. Eine gemeinsame Arbeit an Dokumenten oder die Übergabe von Aktenauszügen ist aufgrund der angeordneten Trennscheibe nicht möglich. Der Umstand, dass die Mandantin in der Regel mit der türkischsprachigen Version der Anklageschrift und mit den türkischen Originalurkunden arbeitet, die Verteidigung dagegen mit den entsprechenden deutschsprachigen Unterlagen, macht eine Arbeit an der Akte in einer Trennscheibenzelle fast unmöglich.

Im Münchener Verfahren – und das ist bei Mandanten, die sich wegen des Vorwurfes gemäß § 129b StGB in Untersuchungshaft befinden die Regel – kommt noch die Problematik hinzu, dass eine Dolmetscherin für die Besprechung benötigt wird. Derartige Besprechungen sind daher absolut ineffektiv, ganz zu schweigen von der zusätzlichen Erschwernis durch einen erheblichen Zeitaufwand: Die Mandanten in dem hiesigen Verfahren beispielsweise waren bis zu Beginn der Hauptverhandlung auf Anstalten in ganz Bayern verstreut inhaftiert. Für einen Verteidiger aus Berlin oder Frankfurt/Main mussten daher noch Reisezeiten von acht Stunden oder mehr hinzugerechnet werden.

Schlussfolgerung

Die Norm des § 148 Abs. 2 StPO ist  wegen der geschilderten konkreten Auswirkungen in der Praxis als verfassungswidrig anzusehen. Sie verhindert eine sachgerechte Verteidigung  und verletzt damit massiv  die Grundrechte des Beschuldigten. Dies gilt auch dann, wenn ihre Anordnung dem Gesetzeswortlaut und den konventionsrechtlichen Vorgaben entsprechend nur bei Vorliegen einer konkreten tatsachengestützten Annahme des Missbrauchs des privilegierten Kommunikationsweges zwischen Mandantin und Verteidigerin erfolgt.

Von dieser verfassungsrechtlichen Problematik abgesehen war und ist die Anordnung nach § 148 Abs. 2 StPO in dem hiesigen Verfahren unzulässig. Tatsachenbasierte Umstände, die die Gefahr eines Missbrauchs des privilegierten Kommunikationsweges begründen könnten, liegen nicht vor. Gegen die Verteidiger_innen wurde noch nie der Vorwurf erhoben, den privilegierten Kommunikationsweg zu missbrauchen. Den Angeklagten selbst wird keinerlei Straftat (neben dem § 129b StGB) und erst recht keine Gewaltstraftat in der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfen; auch gibt es keinerlei Erkenntnisse, dass die TKP/ML für Straftaten in Deutschland verantwortlich ist. Die Vereinigung ist weder verboten, noch wird sie auf irgendeiner nationalen oder internationalen „Terrorliste“ geführt – abgesehen von der Türkei.

Die ganze Absurdität der Anordnungen zeigt sich daran, dass die Ermittlungsbehörden erst fast zehn Jahre nach Einleitung der Ermittlungen Haftbefehle gegen die Beschuldigten erließen. Sie selbst also haben den jetzigen Angeklagten mehr als genug Gelegenheit zur Perpetuierung der angeblichen „terroristischen Umtriebe“ gegeben.

Verteidiger- und Beschuldigtenrechte wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder beschnitten und eingeschränkt – bevorzugt begründet mit dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität und/oder den Terrorismus. Die Probleme mit § 148 Abs. 2 StPO sind zwar nicht neu, gewinnen jedoch wieder an Aktualität. Sie können nicht länger hingenommen werden. Trennscheibe bei Verteidigerbesuchen und richterliche Kontrolle von Verteidigerpost führen zu einer nicht zu kompensierenden Einschränkung von Verteidiger- und Beschuldigtenrechten in Verfahren, die ohnehin schon durch die Einschränkung rechtsstaatlicher Mindeststandards geprägt sind.

Dies sieht offensichtlich auch die Bundesregierung so. Nach einem Bericht in der Zeitung Die Welt vom 15. Juni 2015 hat Bundesjustizminister Heiko Maas zu dem verwandten Problem des Kontaktsperregesetzes, welches er als nicht mehr zeitgemäß abzuschaffen gedenkt, in seiner Rede zum Auftakt des Deutschen Anwaltstages in Hamburg gesagt, dass zwar Deutschland auch heute „durch neue Formen von Terrorismus gefährdet [sei].“ Ihm fehle aber „jede Fantasie, um mir vorzustellen, dass deutsche Anwälte wieder wie damals zu Helfershelfern des Terrors werden können.“

Es wird Zeit, hieraus die Konsequenzen zu ziehen und § 148 Abs. 2 StPO ersatzlos zu streichen.

Die Autoren verteidigen in dem Münchener Kommunistenverfahren.

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